Ich mache hier den Versuch einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem plakativen Vorwurf von Rassismus, der aktuell in einer breiten Öffentlichkeit in Zusammenhang mit einer Aussage der Person Clemens Tönnies diskutiert wird. Ich hoffe, mit diesem Beitrag zu einer reflektierteren Sicht beizutragen.
Afrikanische Probleme – globale Probleme
Der afrikanische Kontintent, bzw. die Menschen, die auf ihm leben, haben Probleme. Und diese Probleme haben globale Auswirkungen. Manche dieser Probleme betreffen auch nicht nur den afrikanischen Kontinent. Viele Regierungen auf diesem Kontinent haben sich bislang im Großen und Ganzen als zu unfähig oder auch korrupt erwiesen, um diese Probleme anzugehen. Vielmehr kommen auch fremde Hilfen oft nicht am richtigen Ort an. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie umschließen die Folgen des europäischen Kolonialismus, das fehlende Demokratieverständnis wie auch die Politik der WTO und den Zwang zum freien Handel. Noch immer profitieren nicht nur globale Konzerne, sondern auch die europäischen Staaten -und nicht nur diese- vom Leid auf dem schwarzen Kontinent.
Zu den angesprochenen globalen Problemen, zu denen Afrika einen Beitrag leistet, gehört die Überbevölkerung. Diese zeigt sich nicht nur in Afrika, sondern überall außerhalb der großen Industriestaaten. Während China auf politischen Zwang und Unterdrückung setzt, darf man annehmen, dass in den Industriestaaten zum einen die Aufklärung über Verhütung und Geschlechtskrankheiten besser ist, das Thema Familienplanung präsenter -auch im Hinblick auf die Kosten und Lebensplanung- sowie das Angebot an Ablenkung und Unterhaltung weit größer.
Zudem erscheint es mehr als plausibel, dass eine Abholzung des äquatorialen Regenwalds des afrikanischen Kontinents wie auch in anderen Teilen der Welt einen negativen Impetus auf den Klimawandel hat. Es ist vorstellbar, dass dies nicht nur eine weitere Wüstenbildung vorantreibt, sondern auch gleich Einfluss auf den Niederschlag auch in anderen Teilen der Welt hat.
Tönnies Aussage
Kommen wir nun zur aktuell viel diskutierten Äußerung von Herrn Tönnies, den ich hier mangels einer direkteren Möglichkeit nach einem Gastbeitrag aus Spiegel-Online zitiere:
„Herr Tönnies plädiert zur Vermeidung einer Klimasteuer in den Industriegesellschaften zur Begrenzung des Klimawandels für die Finanzierung von 20 Kraftwerken in Afrika: ‚Dann würden Afrikaner aufhören Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.'“
Nun kann man über den Sinn einer Klimasteuer sicherlich geteilter Meinung sein. Spontan erscheint sie mir durchaus sinnvoll. – Aber nicht deswegen geriet diese Aussage von Herrn Tönnies in die Kritik. Auch der angenommene Effekt, dass Afrikaner durch Kraftwerke aufhörten, Bäume zu fällen, wird zwar zumeist mit zitiert, aber nicht unmittelbar kritisiert. Ob Afrikaner mehr oder weniger Bäume fällen, scheint also für die meisten Menschen weniger eine Frage von Diskriminierung zu sein. Leider wird das dahinter stehende Problem des Klimawandels in der Debatte nicht weiter diskutiert.
Als Zwischenbemerkung sei mir hier gestattet darauf hinzuweisen, dass es unabhängig von seiner Intention und der Frage einer Klimasteuer sehr löblich von Herrn Tönnies wäre, wenn er Solar- oder Windkraftanlagen zur Stromerzeugung dezentral und in lokalen Projekten in Afrika finanziell unterstützte. Es wäre ein guter und nachhaltiger Beitrag zur Entwicklungshilfe. Auf der anderen Seite wäre es aber nur ein kleiner Stein, der Wellen schlägt und auf dem man einen Fluss nicht trockenen Fußes überqueren kann. – Doch zurück zum eigentlichen Thema:
Vorwurf des Rassismus: Produktion von Kindern
Hauptkritik erntet die Aussage von Herrn Tönnies, dass Afrikaner, wenn es dunkel werde, Kinder produzierten. Nun, sachlich ein Vorgang, der sicherlich überall in der Welt -und niemanden überrascht es- häufiger im Dunkeln stattfindet. Es geht nicht darum, ob es im Dunkeln oder im Hellen stattfindet oder wann es besser ist. Es kann auch nicht um die Anzahl der Kinder gehen, da statistisch nachweisbar die Geburtenrate in den meisten afrikanischen Ländern mehr als viermal höher liegt als in Deutschland und sie die Statistiken anführen. Manche -wie auch der Gastkommentator bei Spiegel-Online- stören sich an der Wortwahl, d.h. der Nutzung des aus der Ökonomie stammenden Begriffs der „Produktion“ seitens des Fleischproduzenten Herrn Tönnies. Doch dem halte ich entgegen, dass es nicht zuletzt in der Poesie, oder in der Rhetorik, üblich ist, Worte aus anderen Kontexten zu verwenden. Ich erkenne nicht an, dass es per se „böse“ Wörter gibt. Zum anderen geht der Begriff weiter auf die Mathematik zurück, wo ein Produkt schlicht das Ergebnis einer Multiplikation ist. Wenn man nun sagt, dass das Zusammenkommen von Mann und Frau ein Kind ergibt -und das als „Produktion“ bezeichnet- ist das eine sehr einfache Rhetorik und eine überaus schlichte Poesie, die wenig Phantasie erfordert. Schlechte Poesie ist kein Vorwurf, der gemeinhin groß in der Öffentlichkeit diskutiert wird. – Wo aber soll nun der Rassismus in der Aussage liegen?
Das Gefühl moralischer Überlegenheit
Es ist bequem und man kann sich gleich für moralisch vollkommen und überlegen halten, wenn man andere des Rassismus beschuldigt, auch wenn es sich um kaum mehr handelt als ein pawlowscher Reflex auf Signalwörter. – Leider zeigt es sich, dass der Vorwurf selbst von Vielen aufgegriffen und unreflektiert weitergetragen wird. Mit anderen Worten: Es werden gedankenlos einfache Parolen verbreitet, durch die man sich selbst besser fühlt und gegen die sich der einzelne Betroffene nicht sachlich wehren kann. Das ist Mobbing in großem Maßstab. Die fehlende Reflexion bei den Menschen, die diese Vorwürfe nur weitertragen, ohne über ihren Gehalt nachzudenken, mache ich ihnen zum moralischen Vorwurf. Sie sind weit davon entfernt, moralisch überlegen zu handeln. Im Gegenteil ist der Unwille, sich seines Verstandes ohne Hilfe anderer zu bedienen, ein Zeichen mangelnder Aufklärung im Lande Kants.
Zum Erfolg des Vorwurfes mag auch ein unreflektiertes Moralverständnis beitragen, nach dem es als anstößig angesehen wird, sexuelles Verhalten in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Auch mich stört es, wenn ich von einem öffentlichen Coming-Out einzelner Personen höre, wo mich weder die Personen noch ihr Sexualverhalten interessieren. Umgekehrt denke ich, dass es möglich sein sollte, wenn es um gesellschaftliche Herausforderungen geht, allgemein über das Sexualverhalten von Anderen zu sprechen.
Ein Vorwurf in die andere Richtung
In Bezug auf den im Raume stehenden Rassismusvorwurf kann man andererseits fragen, ob die Journalisten, die gleich dunkelhäutige Fussballmillionäre nach ihrer Meinung als besonders Betroffene fragen, hier nicht die wahren Rassisten sind, da die Lebenswelt dieser Millionäre mit der Lebenswelt eines Durchschnittsafrikaners so gar nichts zu tun hat – außer, dass sie zufällig eine dunkle Haut teilen. Und hat einer von ihnen zurückgefragt, warum gerade er dazu nach seiner Meinung gefragt wird?
Wenn nun gleichzeitig der Journalist (der Gastautor von Spiegel-Online) über sogenannte „Eliten“ schimpft, offenbart er doch nur die Linksorientierung und Hybris seiner Position. Ich muß vielen Journalisten auch Feigheit vorwerfen: Sie springen auf auf einen Vorwurf, der Schlagzeilen verspricht, Aufmerksamkeit, Werbeeinnahmen und den Eindruck moralischer Überlegenheit. Selbst unter den Journalisten sieht man auf Anhieb nur wenige, die eine weniger plakative Position einnehmen und zur Reflexion und Prüfung des Vorwurfs mahnen – es machte ja nicht nur einen langweiligen und wenig spektakulären Eindruck, sondern würde sie ja zudem aus der Masse isolieren. Dies zollt der heutigen Kurzlebigkeit des Mediengeschäfts Rechnung.
Ruf zur Verantwortung
Was bewirkt nun der Rassismusvorwurf gesellschaftlich? – Er ächtet die Diskussion über verknüpfte Themen und diffamiert Positionen, die sich damit auseinandersetzen. Die Verbreitung einfacher, simplifizierender und plakativer Parolen ist genauso schlimm wie Rassismus. In meinen Augen stellt der Vorwurf des Rassismus in dieser Art und Weise einen Angriff auf Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit dar. In diesem Sinne rufe ich die Journalisten zur Verantwortung. Sie haben nicht nur die Verpflichtung, diese für sie und ihre Arbeit essentiellen Freiheiten zu schützen, sondern sind auch verpflichtet, ihre eigenen Aussagen zu prüfen und gewissenhaft zu handeln. Sie sollten eher zum kritischen Nachdenken anleiten als plakative Parolen zu verbreiten, die einer sachlichen Auseinandersetzung oft nicht standhalten. Sie -nein, wir alle- haben eine Verantwortung für den gesellschaftlichen Diskurs und die Gesellschaft, in der wir leben wollen.